Wie die Industrielobby ein Stadtbild prägen will

Ein Leserbrief von Gerhart Renner

 

Es ging bisher stets um die Einbindung aller betroffenen Bürger*Innen bezüglich des geplanten Baus einer Rheinquerung vom Kölner Süden über Niederkassel. Doch der Schein trügt. Weniger als zwei Wochen vor Übergabe des Projektes „Rheinspange 553“durch Straßen.NRW an die Autobahn GmbH werden plötzlich neue Varianten der Linienführung ins Spiel gebracht, die unmittelbar an der Wohnbebauung zwischen Niederkassel und Rheidt vorbeiführen. Ob dies Zufall ist?

Die ursprünglich präferierte und von Straßen.NRW kommunizierte Linienführung (V6aB) über die Chemiestandorte wurde in den letzten Wochen, genauso wie mögliche Tunnelvarianten, durch die IHK Köln abgelehnt. Ob es daran liegt, dass diese dem von Evonik geplanten Projekt der PCC auf dem Werksgelände in Lülsdorf mittlerweile entgegensteht? Möchte Evonik hiermit einer eventuellen Enteignung des Industriegrundstückes zuvorkommen? „Lautsprecher“ der kürzlich getätigten IHK-Äußerungen ist Dr. Arndt Selbach, der außer seiner Funktion als IHK-Sprecher in Wesseling nicht nur gleichzeitig auch der Standortleiter der Evonik-Werke in Wesseling und Lülsdorf ist, sondern sich nebenbei ab und an auch gerne mal bei einer Scheck-Übergabe beispielsweise für ein Chor-Jubiläum oder in Corona-Notzeiten auch für Weihnachtsbaumschmuckhilfen für Lülsdorfer Kinder medienwirksam ablichten lässt. Zufall oder nicht, durch die Chemieindustrie wurden aktuell drei Brückenvarianten in den Fokus gerückt, die von der neuen Autobahn GmbH durchaus als Vorschläge für eine Vorzugvariante präsentiert werden können:

Eine teure Variante durch den Langeler Bogen (W1O2), eine Variante über die Chemiestandorte mit den bereits beschriebenen Problemen für Evonik und eine günstige und auch noch schnell zu realisierende Variante im Süden Niederkassel (W2O5) wurden auf Druck von Politik und Industrie „anhand von Erkenntnissen aus dem Dialogforum“ nachträglich und für die im Dialogforum beteiligten Bürgerinitiativen empfundenermaßen völlig überraschend „aus dem Hut gezaubert“.

Brisant: Während der Faktor „Wohnen“ – und damit auch indirekt der Faktor “Schutzgut Mensch” – nur zu 2,5% in die Gesamtbeurteilung der Linienführung fließt, wurde der Faktor „Baukosten“ mit einem Gewicht von 30% im Scoping-Verfahren versehen. Bereits 2013 wollte Sebastian Hartmann, begleitet von der IHK, die Interessen der Wirtschaft durchsetzen und eine Rheinquerung für die Chemiestandorte ins Leben rufen.

Ebenso wirkte Hartmann bei der Entwicklung des Industriegrundstückes der Evonik am Standort Lülsdorf mit: es kam zu einem Joint Venture mit der Duisburger Hafen AG. Dort geht es mittlerweile um die Ansiedlung von PCC SE, dessen langjähriges Verwaltungsratsmitglied, Reinhard Quint, gleichzeitig auch im Corporate Development Council der Duisburger Hafen AG sitzt, welches wiederum zu 2/3 dem Land NRW gehört. Nach Berichten des Handelsblattes war dieser schon einer der Protagonisten des Schienenkartells um ThyssenKrupp und der Deutschen Bahn, bei dem ein dreistelliger Millionenschaden für den Bund und somit die Steuerzahler entstand.

Abseits des hiesigen Medieninteresses verfolgt Hartmann ein weiteres Projekt (https://www.westerwald-taunus-tunnel.de), den Westerwald Taunus Tunnel (WTT), um den Güterverkehr von den ARA-Häfen (Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen) in Richtung Genua an das Mittelmeer zu optimieren. Verbunden werden könnte dies mit einer Brücke für den Hochleistungskorridor des Schienengüterverkehrs mit mehr als 400 Güterzügen pro Tag, in Gedankenspielen ebenfalls im Bereich Niederkassel oder dem Kölner Süden.

Als Folge sehen sich die Bürger*Innen Niederkassels nun mit eventuell drei zusammenhängenden Projekten konfrontiert, die das Bild einer familienfreundlichen Stadt nachteilig prägen werden. Zum einen, das „Ende der Seidenstraße“ mit einer möglichen Ansiedlung der PCC und damit einhergehend der Produktion eines hochgiftigen und explosiven Stoffes, zum anderen mit einer Autobahnbrücke, die für viele Anwohner nicht nur einen nächtlichen Alptraum bedeuten wird – und gegebenenfalls mit der Rheinquerung der meistbefahrenen Schienengüterverkehrsachse Europas.

Diese Themen werden massiv unterstützt durch Wirtschaftslobbyisten, deren unternehmerische Sozialverantwortung zu hinterfragen ist. Finanzierungen für oben genannte Vorhaben bedürfen der Berücksichtigung der UN Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und des Pariser Abkommens von 2015. Findet eine kritische Überprüfung der Faktoren Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) bei der Investition von (unseren) Steuergeldern genügend Berücksichtigung oder geht es hier um persönliche Interessen zu Lasten der Allgemeinheit? Die Rheinspange wäre auf jeden Fall die kürzeste Verbindung vom Köln-Bonner Flughafen nach Bornheim-Sechtem, dem Wohnort von Sebastian Hartmann, aktuell Landesvorsitzender der NRW-SPD, SPD-Bundestagsabgeordneter seit 2013 und Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundes. Sicherlich eine sehr praktische Verbindung für einen Berlin-Pendler, die wohl nur als Zufall empfunden wird…

Egal welche Vorzugsvariante letztendlich für (oder trefflicher: gegen) Niederkassel zum Tragen kommt, falls sich unter den hiesigen Parteien nicht doch noch die Vernunft durchsetzen sollte:

Jegliche Autobahntrassen-Variante außer der von den rechtsrheinischen Bürgerinitiativen bereits seit 2016 geforderten Nulllösungsvariante bedeutet – egal wo – einen Verlust für Natur, Umwelt, Gesundheit und Wohnqualität der betroffenen Bürger! Gleichzeitig könnte dies auch noch der letzte Sargnagel für eine Stadtbahn sein, was eine zeitgemäße Anbindung an Köln und Bonn bis zum St. Nimmerleinstag unwahrscheinlich macht. Es ist “fünf nach zwölf” und es gibt kaum noch Hoffnung für ein dringend notwendiges Umdenken der von den Bürgern legitimierten Politik.

Ein erster Schritt ist, dass sich die Niederkasseler Grünen und die SPD ebenfalls die Nulllösungsvariante verinnerlicht haben und speziell in diesem Punkt Seite an Seite mit der Vernetzung Kölner und Niederkasseler Bürgerinitiativen stehen, die sich von Anfang an gegen jede Autobahnquerung ausgesprochen haben.

Die Haltung anderer Niederkasseler Parteien wie die der CDU und FDP, die sich trotz der jüngst aus finanziellen Gründen stattgefundenen Streichung der Tunnellösung bei Leverkusen weiterhin für die aus eben diesem Grunde höchst unwahrscheinliche A553-Tunnellösung nach dem Motto „Wir haben es ja versucht, es hat aber leider trotzdem nicht mit dem Tunnel geklappt“ einsetzen, könnte bei dem zu erwartenden Ergebnis von den betroffenen Bürgern durchaus als Scheinheiligkeit empfunden werden.

Als die wahrscheinlich nächste (und letzte) Gelegenheit zum Umdenken bieten sich hierfür die demnächst anstehenden Bundestagswahlen im sogenannten Superwahljahr 2021 an.

 

Autor: Gerhard Renner, Sprecher BI Umweltfreundliche Verkehrsinfrastruktur (BI-UVI) für den Raum Köln – Bonn – Niederkassel – Troisdorf sowie der Vernetzung Kölner und Niederkasseler Bürgerinitiativen

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